Stigmatisierung
Menschen mit psychischen Problemen leiden sehr unter den Vorurteilen der “Normalos”. Man nennt das auch Stigma oder zweite Krankheit. Eigentlich ist dies ja zum größten Teil das Problem, der Menschen, die sich für normal halten, denn das Stigma beruht auf der Angst vor dem der anders ist. Nicht nur die Angst spielt eine große Rolle, denn sie wird von Halbwissen und schlechtweg falschen Annahmen geschürt. Auch Sucht zählt eigentlich zu den psychischen Erkrankungen, denn die Menge macht das Gift! Und Sucht geht fast immer mit seelischen Problemen und riesigem Leidensdruck einher!
Hier soll mal mit einigen der Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Problemen und suchtkranken Menschen aufgeräumt werden, stellvertretend für die große Anteil der seelisch gehandicapten Menschen von 10-20 % an der Bevölkerung:
- Sucht ist keine Charakterschwäche, sondern ebenfalls eine seelische Erkrankung.
- Depressive sind nicht faul, sondern antriebslos, nicht mal unbedingt immer traurig.
- Schizophrenie ist keine gespaltene Persönlichkeit, sondern ist durch Störungen des Denkens, der Wahrnehmung und der Gefühlswelt gekennzeichnet.
- Psychische Erkrankungen sind nicht selten, sondern man kann sie als Volkskrankheit bezeichnen.
- Psychotische Menschen sind im Durchschnitt nicht gewalttätiger als die Gesunden.
- Ein psychisches Handicap ist keine geistige Behinderung, es kann jeden treffen.
Die Anti-Stigma-Kampagne des Landesverbandes Sozialpsychiatrie M-V e.V.
Die Kampagne wirbt für die Auseinandersetzung mit dem Thema Entstigmatisierung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen auf mehreren Wegen. In einer Arbeitsgruppe, zusammen gesetzt aus Betroffenen, Angehörigen und Fachkräften der Sozialpsychiatrie wurden Plakate, Postkarten und die Homepage http://antistigma-mv.de/ entwickelt. Die Plakate und Postkarten können von der Homepage heruntergeladen werden. Sie wurden entwickelt, um über diese Bilder ins Gespräch zu kommen. Begleitend werden Veranstaltungen umgesetzt, die über psychiatrische Krankheitsbilder und Stigmatisierungsprozesse informieren und das Nachdenken über den eigenen Umgang mit Vorurteilen anregen. Die Veranstaltungen richten sich unter anderem an Mitarbeitende aus dem Medienbereich, an Multiplikatoren aus der Arbeitswelt, an Betroffene, Angehörige und Fachkräfte aus dem psychiatrischen Bereich. Eine wichtige Präventionsstrategie bei den Veranstaltungen ist es, Begegnungen und Austausch mit Menschen zu schaffen, die Erfahrungen mit psychiatrischen Erkrankungen gemacht haben.
Deshalb sollten die „Normalos“ mit Menschen mit seelischen Erkrankungen ganz normal umgehen. Jeder Mensch ist einzigartig und sollte mit all seinen Macken akzeptiert werden und es sollte nicht darum gehen, was der Mensch nicht kann, sondern um seine Stärken.
Die Recovery-Bewegung
Das Recovery-Konzept ist von Psychiatrie-Erfahrenen in den 1990ern in den USA entwickelt worden. Vorreiter*innen der Bewegung wie Patricia Deegan wollten sich nicht damit abfinden, dass Ärzte sie als „unheilbar krank“ oder „austherapiert“ abstempelten. Aus eigener Erfahrung wussten sie: Genesung ist auch bei schweren psychischen Erkrankungen möglich. Es geht hierbei nicht um Heilung im klassischen Sinne, sondern darum trotz Erkrankung eine gute Lebensqualität zu haben.
Gemeinsam mit engagierten Fachleuten und Angehörigen setzten sie sich für eine alternative Art der psychiatrischen Behandlung ein, in der ein positiver, ganzheitlicher und gesundheitsfördernder Blick auf psychische Erkrankungen im Mittelpunkt steht.
Aber was bedeutet „Recovery“ eigentlich? Wenn wir den Begriff im Englisch-Wörterbuch nachschauen, dann finden wir folgende Übersetzungen: Erholung, Besserung, Gesundung, Wiederherstellung, Rückgewinnung.
Unter persönlicher Recovery versteht man den individuellen Entwicklungsprozess eines Betroffenen aus den Beschränkungen der Patientenrolle hin zu einem sinnerfüllten, hoffnungsvollen und selbst bestimmten Leben mit positiver Identität und positiver sozialer Rolle (Graf,M. et al. 2014)
Hoffnung
Das ist der Beginn von allem. Wenn ein Mensch keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft hat, fehlt ihm die Kraft, Dinge anzugehen und zu gestalten. Während einer schweren Erkrankung ist es für viele Betroffene schwierig, die Hoffnung auf ein erfülltes Leben zu bewahren oder neu aufzubauen. Dies ist in Krisenzeiten normal und völlig verständlich. Recovery bedeutet, wieder Hoffnung zu haben. Mit dieser positiven inneren Haltung ist es möglich, die Selbstheilungskräfte anzuregen und aktiv Einfluss auf die Gestaltung des eigenen Lebens zu nehmen.
Das Erlangen und die Erhaltung von Hoffnung ist der Schlüssel zu Recovery. Gesundung ist eine Haltung, eine Einstellung und ein Weg, die täglichen Herausforderungen anzugehen. Es ist ein selbst gesteuerter Prozess, um Sinn und Zielsetzung ins Leben zurückzugewinnen. Somit muss aber gleichzeitig gesagt werden: Recovery braucht ein hoffnungsstiftendes Umfeld. Betroffene brauchen Menschen um sich herum, die ihnen Mut machen und positiv eingestellt sind. Hoffnung und die Sinnsuche im Leben sind eng verwoben.
Sinnhaftigkeit
Hoffnung kann nur dort entstehen, wo es Menschen gelingt, einen Sinn im Leben zu finden. Um einen Sinn im Leben zu finden, brauch man aber mehr als Menschen, die einem Mut machen. Das Leben wird vom Menschen dann als sinnvoll und lebenswert empfunden, wenn es gelingt, die eigene Biographie und den eigenen Weg zu akzeptieren und gleichzeitig neue Perspektiven und Ziele zu haben, trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten.
Wenn man sein Leben als gescheitert ansieht, verengt sich der Blick, und man betrachtet sich nur noch als „Kranken“. Dies gilt nicht nur für psychische Erkrankungen, sondern für alle Lebensbereiche. Auch wenn es schwierig ist: Menschen brauchen in einer solchen dramatischen Krisensituation eine Perspektive ,um ihr Leben positiv gestalten zu können. In der Recovery-Arbeit sollen Betroffene lernen, ein oft unklar definiertes Behandlungsziel einer „Heilung“ um ein subjektives Sinnkonzept zu ergänzen.
Mit Empowerment werden Prozesse bezeichnet, in deren Verlauf die betroffenen Menschen Möglichkeiten und Fähigkeiten gewinnen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten. Sie werden dabei unterstützt, ihre Probleme eigenständig zu lösen. Das Empowerment der Betroffenen und ihre eindrucksvollen Erfolge sowie die Tatsache, dass die Betroffenenbewegung Wege und Formen gefunden hat, das professionelle System mitzugestalten, ist die Grundlage für die Entwicklung in Richtung Recovery. Das wirklich Neue an Recovery ist die zunehmende Bereitschaft und Expertise in der Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Angehörigen und Freund*innen sowie professionellen Helfern.
Das Zauberwort ist EX-IN, Psychiatrie-Erfahrene arbeiten in der Sozialpsychiatrie als Erfahrungs-Experten*innen.